Etwa 20km nordwestlich von Dresden gibt es bei Meißen ein Vorkommen der Würfelnatter (Natrix tessellata). Dieses Gebiet unterhalb des Knorrefelsens in Winkwitz hat eine deutliche Distanz von ca. 80 km zu den nächstgelegenen Populationen in Tschechien. Damit ist dieser Abschnitt des Elbufers der nordwestlichste isolierte Fundpunkt dieser Art. Das Vorkommen in Meißen erlosch leider bereits wenige Jahrzehnte nach seiner Entdeckung und wurde 1999 mit einer Wiederansiedlung neu belebt.

Fossilienfunde belegen, dass die Würfelnatter vor etwa 5000–8500 Jahren weite Teile Mitteleuropas besiedelt hat. Als sich das Klima vor ca. 5000 Jahren abzukühlen begann, konnte die Art nur an wenigen wärmebegünstigten Orten überleben. Diese sogenannten Reliktvorkommen sind sehr isoliert von dem weiter südöstlichen liegenden eigentlichen Verbreitungsgebiet. Aktuell bestehen in Deutschland noch 3 weitere isolierte Reliktpopulationen an den Flüssen Mosel, Lahn (jeweils 1-2 km Ufer) und Nahe, (hier 20 km Ufer) im Bundesland Rheinland-Pfalz. An der Ahr wurden nachweislich Würfelnattern aus Ungarn oder Slowenien ausgesetzt.

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(Quelle der Karte: Salamanderseiten

Der eigentliche Entdecker der Würfelnatter bei Meißen war ein Modelleur der Königlichen Porzellanmanufaktur Meißen, Ferdinand August Thiel (1839–1920). Die erste Veröffentlichung seiner Würfelnatter-Funde erfolgte am 4. Oktober 1892 in einer Beilage zum „Meißner Tageblatt“. Der nächste Naturforscher, der sich mit den Würfelnattern von Meißen befasste, war 1910 und noch einmal 1922 Rudolf Zimmermann (1887–1943). Er berichtete damals, dass es ihm allerdings nicht gelungen sei, selbst Würfelnattern zu beobachten. Offenbar war zu diesem Zeitpunkt die Schlangenpopulation schon so klein, dass Zimmermann die Bestätigung des Vorkommens misslang. In den Folgejahren war es der Meißner Lokalfaunist und Heimatforscher Arthur Klengel (1881–1954), der 1919 und 1932 über seine Beobachtungen der Würfelnattern berichtete.

Es ist zu vermuten, dass infolge der aufblühenden Industrie im rechtselbigen Meißen und durch unkontrollierte Abflüsse von Industrie-Abwässern Giftschübe immer wieder zu Fisch-Sterben führten, die der Würfelnatter-Population als Endglied einer Nahrungskette schwer zugesetzt haben. Sie müssen als wichtiger Faktor gelten, der zum starken Rückgang der Population führte. Zusätzlich wurde auch die in den 30er Jahren rechtselbisch gebaute Straße zum Problem, die im ursprünglichen Habitat das trockenwarme (xerotherme) Hinterland mit seinen Weinbergen und Überwinterungsplätzen vom Flusshabitat abschnitt.

Biotop Würfelnatter Elbe
Biotop

Nach dem Zweiten Weltkrieg besuchte der aus Radebeul bei Dresden stammende Zoologe Ehrhard Frommhold (1925–1980) in den 1950er Jahren wiederholt das Würfelnatter-Habitat, ohne dass ihm ein Wiedernachweis der Schlangen gelang. Seit dieser Zeit galt die Population als erloschen, denn auch in den späteren Jahrzehnten gelangen in Meißen nie wieder Sichtungen von Würfelnattern.

1999 wurde ein Wiederansiedlungsprojekt gestartet: Am 4. Juni 1999 erfolgte im Beisein des damaligen sächsischen Umweltministers, Dr. Rolf Jähnichen und von Mitarbeitern des tschechischen Umweltministeriums, geleitet von Dr. Petr Roth, die erste Freisetzung von 76 tschechischen Würfelnattern an der Knorre. Davon stammten 35 juvenile Nachzucht-Schlangen von Elterntieren von der Berounka, einem Nebenfluss der Moldau. 32 weitere Jungtiere stammten aus Nachzuchten von der Eger (Ohře). Zusätzlich wurden 9 adulte Würfelnattern mit ausgesetzt, bei denen es sich um Wildfänge von der Eger handelte.

Würfelnatter
Würfelnatter (Natrix tessellata), Wildfang an der Eger, gefunden bei einer Exkursion im Jahr 2014

Am 29 Mai 2000 erfolgte die zweite Freisetzung von tschechischen Würfelnattern an der Knorre mit 76 juvenilen Nachzucht-Schlangen von der Eger. Damit waren innerhalb von zwei Jahren 152 Würfelnatter ins historische Habitat an der Knorre ausgesetzt worden.

Ein intensives Monitoring schloss sich an und erste Nachkommen wurden 2001 beobachtet. Leider erlitt die Population durch das Jahrhunderthochwasser an der Elbe im August 2002 einen deutlichen Einbruch. Immerhin konnten auch nachher noch Würfelnattern in dem Gebiet beobachtet werden. 2003 gelangen 42 Beobachtungen. Frisch geschlüpfte Jungtiere wurden in den Jahren 2003 und 2005 ebenfalls gesichtet.

2008 gab es insgesamt 17 Sichtungen. Durch Auswertung von Fotos ließ sich ermitteln, dass es sich dabei aber nur um 8 Tiere handelte. Insgesamt wurden in dem Jahr 130 Kontrollgänge unternommen, bei denen man auch 9 Totfunde hatte, davon 5 tote Jungtiere. In dem Jahr wurde 1 lebendes Jungtier entdeckt.

Biotop Würfelnatter Elbe
Metall-Abweissystem zwischen Biotop und Radweg/Straße

Eine immer noch vorhandene kontinuierliche, wenn auch dürftige Reproduktion zeigte 2010 der Fund eines einjährigen Tieres sowie von 4 Schlüpflingen. Insgesamt wurde die Populationsgröße damals auf ein bis maximal zwei Dutzend Individuen geschätzt.

Als im Jahr 2013 das nächste große Hochwasser der Elbe eintrat, drängte sich die Befürchtung weiterer oder sogar endgültiger Verluste auf. Sehr erfreulich war allerdings, dass man nach dem Hochwasser mehr Schlangen fand als erwartet. Obwohl das Zeitintervall von Mitte Juni bis August nicht als optimal gilt, konnten neben 4 toten Tieren auch 36 Funde lebender Würfelnattern verzeichnet werden. Dabei wurde auch die mehrfache erneute Reproduktion der Population nachgewiesen werden. Das Hochwasser Anfang Juni lag demzufolge glücklicherweise zwischen der Paarungszeit und der Eiablage.

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Nachweise 2008 bis 2013, Quelle: [2]

2014 gab es 13 Beobachtungen lebender Exemplare, 2015 konnten 11 gesehen werden, 2016 waren es 16. Möglicherweise wurden dabei Exemplare doppelt beobachtet. Vereinzelt konnten Jungtiere gesehen werden, zusätzlich gab es aber auch Totfunde. 2017 wurden 32 Beobachtungen gemacht, darunter deutlich mehr Jungtiere und subadulte. 2018: 36 Beobachtungen mit mehreren Jungtieren, 2019: 47 Nachweise.

Die weitere Entwicklung der Population schätzten P. Strasser und T. Peters in [2] so ein:

Als wichtige Grundlage bei der Umsetzung habitatverbessernder Maßnahmen diente das von BLAU (2012) erstellte Gutachten, in dem insgesamt 20 umsetzungswürdige Maßnahmen herausgearbeitet wurden. Erste Maßnahmen wurden bereits umgesetzt, so am Jahresanfang 2013 die Wiederherstellung stark besonnter Bereiche entlang der gesamten, höher gelegenen Habitatflächen. Neben mehreren Baumfällungen fanden Entbuschungsaktionen statt. Damit konnten die noch wenigen sonnenexponierten Flächen im (Rest-)Habitat erhalten und somit der Drang der Tiere zum Abwandern auf den Radweg und die Straße, zum notwendigen Aufwärmen, verhindert werden. Auch die weiteren im Gutachten BLAU (2012) vorgestellten Maßnahmen sollten umgesetzt werden, hierzu sind jedoch umfangreiche Absprachen und Vorbereitungen notwendig. Nur wenn alle notwendigen Vorraussetzungen geschaffen werden besteht eine Chance die kleine, überlebensfähige Population an ihrem historischen Standort dauerhaft zu erhalten.

(…) Die bisher im Elbe-Wiederbesiedlungsprojekt gewonnenen Erkenntnisse sind nicht unerheblich und könnten in Folgeprojekte einfließen.

Biotop Würfelnatter Elbe
Biotop

Fotos und Text: Frank Böhm


Quellen:

[1] „Das sächsische Vorkommen der Würfelnatter im Elbtal bei Meißen“ von Fritz Jürgen Obst und Peter Strasser, veröffentlicht in Mertensiella 18 (2011)
(pdfQuelle: Mertensiella – The Dice snake, Natrix tessellata: Biology, Distribution and Conservation of a Palaearctic species)

[2] „Zur Situation der Würfelnatter (Natrix tessellata) im Wiederansiedlungsgebiet „Knorre bei Meißen“ nach der erneuten Jahrhundertflut 2013“ von Peter Strasser und Torsten Peters, veröffentlicht in „Jahresschrift zur Feldherpetologie und Ichthyofaunistik Sachsen, Vol. 15 (2014)“
(pdf, mit freundlicher Genehmigung von Torsten Peters)